Dass der Brexit sich vielfach vor allem negativ auf alle nur erdenklichen Lebensbereiche ausgewirkt hat, ist den meisten Menschen bewusst. Während es nun gilt, mit den nicht unbedingt beabsichtigten, gleichermaßen ökonomischen wie auch sozialen Folgen dieser historischen Entscheidung zu leben, muss sich Großbritannien zugleich auch der Gefahr der Zersplitterung des Vereinigten Königreichs und der möglichen Abspaltung von Landesteilen, insbesondere Schottlands aber auch- und das ist der Fokus des heutigen Vortrags- Nordirlands, stellen. Denn der Wunsch dort nach Autonomie wurde durch den Brexit und die damit einhergehenden Probleme eher noch verstärkt.
Der innere Kampf in Nordirland ist jahrzehntealt und wenn auch dank dem Karfreitagsabkommen seit gut 40 Jahren ein „bitterer Frieden“ währt, gibt es, auch wenn die Prognosen Herrn Dr. Rapps für das gespaltene Land letztlich positiv ausfallen, drängende Fragen und Probleme. Diese stellte er unterhaltsam mit Anekdoten gespickt am 22. Dezember 2022 der versammelten 12. Jahrgangsstufe vor und erklärte ihnen dabei in groben Zügen die irische Geschichte und mögliche Zukunftsszenarien.
In Nordirland herrschen bis heute Spannungen zwischen den teils unionistischen und teils nationalistischen Einwohner*innen, die sich auch durch Sprache und Handlungen voneinander abzugrenzen versuchen. So benutzen die Anhänger der verschiedenen Religionsgruppen (Katholiken vs. Protestanten), teils andere Namen für Orten und Gegenstände und fahren in ihren Gebieten mit Taxis unterschiedlicher Farbe. Katholiken nennen die Stadt Derry und Protestanten Londonderry. Und während die katholischen Nationalist*innen eine Einigung mit dem Rest der irischen Insel und damit der Republik Irland anstreben, versuchen die protestantischen Unionist*innen die Verbindung mit London und dem UK zu erhalten. Der Konflikt in Nordirland konnte 1998 durch das Good Friday Agreement eingedämmt werden, jedoch sieht sich die Insel durch den Brexit mit neuen Problemen konfrontiert. So bleibt Nordirland auch nach dem Austritt des UK aus der EU seinerseits Mitglied der europäische Zollunion, was zu einer Zollgrenze zwischen Nordirland und Großbritannien führt, während es auf der irischen Insel weiterhin keine Grenze gibt bzw. geben soll. Sowohl Schottland als auch Nordirland waren und sind, wie die Abstimmungsergebnisse deutlich zeigten, mehrheitlich gegen einen Austritt aus der Europäischen Union und werden – im Falle Schottlands durch ein erneutes Referendum in den kommenden Jahren versuchen, sich vom Vereinigten Königreich abzuspalten und wieder der EU anzuschließen. Damit steht nach dem Tod Elisabeths II das Vereinigte Königreich mehr denn je vor der Gefahr seiner Auflösung. Als Ausgleich zum Brexit versuchte das Vereinigte Königreich Verträge mit asiatischen und pazifischen Staaten, wie Japan und Australien, auszuhandeln, was allerdings bislang missglückte. Was ein Freihandelsabkommen mit den USA anbelangt, wird es ebenfalls schwierig, zumal US-Präsident Joe Biden irische Wurzeln hat und einen weiteren Bürgerkrieg auf der Insel definitiv verhindern will. Auch wenn man den Ukrainekrieg und die Corona-Pandemie außer Acht lässt, hat das UK mit massiven Preissteigerungen und einem deutlichen Rückgang der britischen Wirtschaft zu kämpfen, wodurch der Schwarzmarkt auch in der nordirischen Provinz Armagh aufblühte. Innenpolitisch muss sich die britische Regierung mit ihrem dritten Premierminister (R. Sunak) in einem Jahr beweisen und eine Menge Bürger*innen überzeugen, nicht die Hoffnung in ihre Politik zu verlieren. Herr Dr. Rapp zieht jedoch eine positive Bilanz für die Zukunft Nordirlands, sofern die EU und auch London ein Stück weit von ihren verhärteten Positionen abrücken… zumindest würde dies das Leben im Norden der irischen Insel lebenswerter machen. Die kommenden Wahlen werden zeigen, wie sich die Situation entwickelt.